Seit 1889
Aus den Anfängen des Quartiervereines
1834 entsteht weit ausserhalb der Stadtmauern an der Zürcherstrasse die erste Bronzegiesserei der Gebrüder Sulzer Es ist der Start zu einer gut 150 Jahre dauernden Entwicklungsgeschichte. Zwischen Bahn und Strasse entsteht eine Fabrikstadt mit tausenden von Arbeitern und Angestellten auf einer Fläche vergleichbar mit der Altstadt. In Winterthur und Umgebung lassen sich bald keine Arbeitskräfte mehr finden. Die Werber suchen Arbeitsemigranten im Thurgau und im Toggenburg und bald auch in der katholischen Innerschweiz. Diese Männer und ihre Familien brauchen Unterkünfte. So entstehen im Tössfeld die ersten Arbeitersiedlungen. Neben dem Wohnungsbau Privater baut die SLM (Schweizerische Lokomotiv- und Maschinen Fabrik) an der Jägerstrasse die ersten kleinen Arbeiterhäuschen. In den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts errichtet die «Gesellschaft für Erstellung billiger Wohnhäuser» zwischen Agnes- und Zürcherstrasse eine ganze Siedlung. Doch die Verhältnisse bleiben prekär. Die Unterschicht muss sich oft mit unzumutbaren und überbelegten Wohnungen zufrieden geben. In einem Haus an der Wasserfurristrasse teilen sich im Feb. 1892 drei Familien mit 12 Erwachsenen und 9 Kindern 8 Räume. Um die drückenden Mieten aufbringen zu können, hausen oft noch Zimmergänger mit den Familien. Öffentliche Einrichtungen wie Schulen für die zahlreichen Kinder fehlen.
Gründung und Entwicklung
Die Stadt war genötigt, zur Dezentralisation der Schulen zu schreiten und unser ohnehin schon abgeschnittenes Quartier hatte die verlockendste Aussicht, dabei leer auszugehen. Da rafften sich auf den Mahnruf einiger Männer eine Anzahl Stimmberechtigte aus ihrer Lethargie auf, um am 16. März 1889 im Restaurant «Sonnental» im Tössfeld die im Vordergrunde stehende Schulhausbaufrage und anschliessend die Gründung eines Quartiervereines zu besprechen ( aus: Rückblick auf die 25jährige Tätigkeit des Quartiervereins, 1915). Eine Petition an die Primarschulpflege wird vorbereitet und am 30. März 1889 findet die eigentliche Gründung des Quartiervereins statt. Im April 1892 kann das neue Schulhaus an der Agnesstrasse feierlich eingeweiht werden.
Der Quartierverein bleibt Initiator und Motor der Quartierentwicklung. Im Gründungsjahr entsteht als Tochter die Milchkonsumgenossenschaft, die für Jahre für die Verteilung von gesunden und günstigen Milchprodukten im Tössfeld sorgt. Am 5. Nov. 1892 erblickt der Männerchor das Licht der Welt. Im Sept. 1895 folgt der Turnverein. Mit Töchterchor und Damenriege wird die Kinderschar grösser. Auf Anregung des Quartiervereins entsteht ein eigenes, sich aus Quartierbewohner rekrutierendes Löschkorps. Auch das Postwesen liegt noch in den primitivsten Anfängen. Es ist der Quartierverein, der zuerst eine Vermehrung der Briefeinwürfe erwirkt, eine eigene Postfiliale ins Programm aufnimmt und nach langen Verhandlungen und verschiedenen Petitionen an die Oberpostdirektion erreicht, dass diese 1899 an der unteren Briggerstrasse eröffnet wird. Strassenbeleuchtung und Schneeräumung sind weitere Bereiche, für die sich der Quartierverein erfolgreich einsetzt. Weiterer Programmpunkt ist ein Gesuch an den Stadtrat zur Errichtung einer Pissoiranlage (Ein Biertrinker wünschte 2-3 solcher Häuschen; GV Protokoll 1899).
Jährlich werden verschiedene gelehrte Vorträge im Kreise des Quartiervereins organisiert. Neben der jährlichen Abendunterhaltung gehört der Familienausflug in die nähere und weitere Umgebung zum festen Bestandteil des Vereinsjahres. Für den Familienausflug gibt ein Tambour im Quartier das Signal zum Aufbruch.
Die wenigsten Wohnungen im Quartier haben neben einem Abtritt und einem Kaltwasseranschluss in der Küche weitere sanitarische Einrichtungen. Während die Männer sich am Arbeitsort oder im Wohlfahrtshaus der Lokomotivfabrik (der heutigen Primarschule Brühlberg) warm duschen können, fehlen entsprechende Einrichtungen für die Frauen und Kinder. Auf Veranlassung des Quartiervereins wird 1907/08 an der unteren Briggerstrasse 20 das Volkshaus Tössfeld mit Suppenküche und Lesesaal gebaut. Im Keller entstehen 6 Wannenbadezellen für Frauen und 4 Duschzellen für Männer. Für viele ältere Quartierbewohner ist der wöchentliche Badeplausch an der unteren Briggerstrasse noch in lebhafter Erinnerung.
Aus: Rückblick – 25 Jahre Quartierverein 1915
«Da sind wir heute toleranter»
«Schon hatte sich die Mitgliederzahl etwas vermehrt, unter andern war eine Frau angemeldet, diese wurde aber in der gleichen Versammlung, weil nicht statutengemäß, wieder gestrichen. Da sind wir heute toleranter, unsere Mitgliederliste weist nunmehr die Namen mehrerer Frauen und Fräuleins auf, ja wir haben in unseren Versammlungen die Frauen auch schon zu Worte kommen lassen und für sie spezielle Vorträge veranstaltet.»